Wim Martin, Du bezeichnest Deinen Roman DAS WEISSE TIER als Dein Hauptwerk. Warum ist das so?
Das hat verschiedene Gründe. Zum einem habe ich in meinen 6 bisher bei Hummelshain erschienenen Romanen eher das Feld der Spannungsliteratur bedient. DAS WEISSE TIER dagegen kommt ganz ohne Suspense und Thrill daher, ist eher ein Schelmenroman oder ein Entwicklungsroman in klassischer (deutscher) Erzähltradition. Dann habe ich für die Niederschrift unvorstellbare 9 Jahre gebraucht, in endlosen Versionen, Verbesserungen und Korrekturen und mit einem riesigen Berg an Outtakes, also Dingen, die in der Endfassung wegfielen. Romane wie BRACHFELD z.B. habe ich in 6 Wochen geschrieben, DAS SCHLAGENDE HERZ in 2 Monaten. Und dann ist DAS WEISSE TIER ein weitgehend autobiographisches Werk, natürlich fiktiv, ja märchenhaft überhöht, aber es beschreibt 50 Jahre meines Lebens im Mikrokosmos der immer gleichen, sich aber dennoch stetig wandelnden Nachbarschaft mit einem hochskurrilen Typenkabinett.
Trotz der von Dir angesprochenen Kürzungen bietet der Roman noch immer eine große Fülle an Stoff. War das der Grund für dieses größere Format, in welchem er jetzt erschienen ist?
Als ich beim Schreiben auf halbem Weg war, hoffte ich, es würde für 250 Druckseiten reichen. Ich war dann selbst überrascht, aber es gab einfach so unendlich viel zu erzählen. Und ich glaube, dem Leser wird nie langweilig bei der Lektüre, obwohl ich selbst nur ungern ausufernd lange Romane lese. Als klassisches Hummelshain-TB wären es über 900 Seiten geworden. Es stand im Raum, es in 2 Bänden zu veröffentlichen, aber der Verlag und ich haben uns dann für dieses Format entschieden.
Deine Erzähltechnik entwirft in diesem Roman keine auf herkömmliche Weise linear, d.h. chronologisch erzählte Geschichte, die allenfalls noch Rückblenden einbaut. Du bezeichnest diese Technik als additiv. Was genau verstehst Du darunter?
Bei der Vielzahl an Figuren, jede mit einer eigenen Geschichte, bestand die Gefahr, dass der Roman als großes Ganzes sich in einer Sammlung von Kurzgeschichten verliert. Das wollte ich unbedingt vermeiden, also habe ich versucht, so etwas wie ein Netz zwischen allen Protagonisten zu spannen, die alle an jeder Stelle des Romans immer wieder einmal auftauchen können und zum Fortgang der Handlung beitragen. Man muss sich das vorstellen wie ein großes Wandgemälde, wo einzelne Figurengruppen dargestellt werden, die jedoch gleichzeitig alle miteinander interagieren. Und natürlich gibt es eine allem übergeordnete Liebesgeschichte.
Du hast in Deinen bisherigen Romanen immer wieder Deine Heimatstadt Velbert zum Schauplatz gemacht. Ist das auch dieses Mal so?
In der Tat spielt auch DAS WEISSE TIER in Velbert, sogar größtenteils an den Orten meiner Kindheit. Allerdings habe ich dieses Velbert im Roman stark mythifiziert und auch nicht explizit genannt. Die Straßennamen des Baumviertels sind verändert, und auch die Landschaft zwischen Honigloch, Flandersbach und Kalksteinbrüchen ist arkadisch idealisiert. Dort war in meiner Kindheit Abenteuer pur. Es gab einen von dunklen Nadelbäumen dichten Wald, den wir nur den Tannenwald nannten. Den Velberter Mythos Uelenbeek habe ich als Eulenbach dorthin verlegt. Und eine der Figuren spricht Velberter Platt, das alles selige Reminiszenzen an meine Heimatstadt.
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