„Zeitreisen gehen anders“ lautet ein bekannter Science Fiction von Dir, Axel. Nun hast Du Dich auf eine Zeitreise besonderer Art begeben, anhand von Aufzeichnungen Deines Großvaters und Gesprächen mit Deinem Vater. Was vermitteln diese als Zeitzeugen, was hat Dich zu dem Buch bewogen?
Ja, das war wirklich eine Zeitreise der besonderen Art, aber eben dann doch ganz anders, als in meinen Romanen. Viel persönlicher und, ganz ehrlich, es hat mir viel abverlangt. Aber es hat an mir genagt, genagt seit ich im zarten Alter von etwas über zwanzig war (ich bin aktuell sechzig Jahre alt). Damals hat mein Großvater auf seiner Geburtstagsfeier seine Autobiographie herumgehen lassen. Niemand, absolut niemand wollte sich damit beschäftigen. Seine Kinder nicht, deren Ehegatten nicht. Außer mir, dem ältesten Enkel. Ich bat ihn darum, die Aufzeichnungen mitnehmen und in Ruhe lesen zu dürfen. Ich war damals bereits schockiert, gab es doch bis zu diesem Zeitpunkt die Legende: Der Opa hat nichts gemacht, der war bei der SS auf der Schreibstube. Der hat nichts gemacht. Ich bin nach der Lektüre zu ihm gefahren, wollte mit ihm darüber reden, habe es aber nicht geschafft die richtigen Fragen zu stellen. - Nun, das hat mich verfolgt, als unerledigte Sache, über Jahrzehnte. Das war die Grundmotivation.
Was macht die Aufzeichnungen von Willi Kruse aus Deiner Sicht als zeithistorische Quelle besonders interessant?
Es ist die Sicht der Dinge eben. Seine Sicht, die ja eine ganz andere ist, als die meinige. Er sah sich selbst sicher als integren Menschen. Sowieso als einen, der alles wusste, vor allem besser, als alle anderen. Nun, neben der Frage, was er denn nun wirklich auf der Dienststelle, auf der er saß getan hat, quälte mich, wie es denn meinem Vater damals ergangen ist und wie er zu dem Menschen wurde, der er war, also einem Demokraten. Und so seltsam es sein mag, ich vermute, dass es die Lektüre der Bücher von Karl May war, die meinem Vater die entsprechende Sozialisation ermöglicht haben. Insofern ist eben diese Entwicklung und die Gespräche mit meinem Vater für mich als zeithistorische Quelle wichtiger, als die Darstellung des Lebens meines Großvaters.
Hat diese intensive Auseinandersetzung mit den beiden Dir vorhergehenden Generationen auch etwas für Dein Verständnis des eigenen Charakters, Lebens, evtl. auch Schreibens beigetragen?
Ja, in allen Perspektiven. Seit Jahrzehnten quält mich der Gedanke: Was hätte ich gemacht, in dieser Zeit? Wäre auch ich zum Täter geworden? Und so schlimm die Antwort ist, ich fürchte ja, das wäre ich womöglich geworden. Mit der entsprechenden Sozialisation wäre ich wahrscheinlich dort hineingerutscht. Aber so ist es ja nicht so gekommen. Auch ich habe in der Jugend Karl May gelesen und das hat tiefe Spuren hinterlassen, positive. Und dann die Werke von Traven (dessen weiße Rose Hans Scholl zur Namensgebung der Widerstandsgruppe bewegt haben soll), die mir mein Vater mir als Teenager ans Herz gelegt hat. Und in vielen meiner Werke mache ich mir Gedanken dazu, wie meine Protagonisten denn handeln können, wenn sie unter solchen Bedingungen leben müssen. Nun, das war immer interessant, sich so in Personen hineinzuversetzen.
In vielen Familien ist die persönliche Verwicklung in den Nationalsozialismus lange tabuisiert worden und wird es noch. Inwieweit kann es gesund sein, sich dem aktiv zu stellen?
Ja, das ist auch bei uns tabuisiert worden. Allerdings nicht so ganz, weil mir ja von kleinen Kindesbeinen die oben erwähnte Legende erzählt wurde, sodass für mich bis in die frühe Erwachsenenzeit die reine Mitgliedschaft meines Großvaters in der SS zwar klar war, die Dimension, die dahinterstand aber eben nicht. Und, natürlich belastet das, dort zu recherchieren. Aber es befreit auch, sich damit auseinanderzusetzen. Und das ist viel wichtiger. Und für mich habe ich mitgenommen, dass der Spruch: Nie wieder ist jetzt, mehr ist als ein Spruch. Es ist eine Aussage, zu der alle Demokraten heute stehen müssen.
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