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Was ist Dein (Lieblings-)Rezept, Rainer Sockoll?


Lieber Rainer, zum Abschluss der Sessenbergstrassen-Saga kommen nun drei Romane auf einmal. Wo sind wir jetzt zeitlich und was hat sich in den Jahren seit dem Start der Erzählung für die Protagonisten verändert?


Der wichtigste Ort in der Saga „Essen, Sessenbergstraße“ ist das kleine Häuschen in der Gartenanlage an der Sessenbergstraße, das August und Jette bewohnen und welches August selbst gebaut hat. Das Rentnerehepaar lebt dort im Einklang mit der Natur, allerdings unter sehr einfachen Bedingungen. Es fehlen eine Toilette mit Wasserspülung, ein Badezimmer und andere technische Einrichtungen. Trotzdem sind sie zufrieden, vielleicht auch glücklich. Die Rente, welche August erhält, könnte höher sein.

   Mit dem neunten Roman, nämlich “Siebzich Jahr, lichtes Haar”, endet die Krimi-Saga “Essen, Sessenbergstraße”. Alle Romane handeln in den sechziger Jahren mit Ausnahme des letzten, denn dessen Handlung vollzieht sich 1970, während in Mexico die Fußballweltmeis- terschaft stattfindet. Die beiden anderen Romane des vierten Bandes: „Mensch, Jette“ und „Didi und Maria“ handeln 1968 und 1969.

Jedes Mal sind die beiden Rentner August und Heini an der Lösung des jeweiligen Kriminalfalles beteiligt. Heini ist Augusts bester Freund und hat mit ihm in der Zeche gearbeitet.

   Seit 1960 verhelfen sie der Polizei durch aufmerksame Beobachtungen und Entdeckungen von wegweisenden Spuren zur Aufklärung der Verbrechen. Für spannende Abwechslung im Leben von Heini und August ist also in der gesamten Zeit gesorgt.

  Aber auch ohne Kriminalfälle verläuft ihr Leben keineswegs eintönig. Sie feiern mit ihren Frauen und Nachbarn viele Feste im Garten von August und Jette an der Sessenbergstraße, bauen einen Hühnerstall und reißen mit ihren Freunden das Trockenklo des kleinen Häus- chens ab, in dem Jette und August wohnen, um einen Anbau zu errichten, in dem Platz für eine Toilette mit Wasserspülung und eine richtige Badewanne ist, welche die alte Zinkguss- wanne ersetzt. Die Waschmaschine mit Wassermotor wird zu einem großen Blumenkübel umfunktioniert. Für eine moderne Waschmaschine ist in dem neuen Anbau ebenfalls Platz. Der Fortschritt hält also Einzug bei Jette und August. Eine wesentliche Veränderung in deren Leben stellt jedoch ein Fernseher dar. Ab sofort können sie Übertragungen von Fußballspie- len sehen oder den ein oder anderen Spielfilm. Dabei geraten sie nicht in eine Fernsehab- hängigkeit, die den Ablauf des Tages bestimmt.

   Außer den Verbesserungen der Lebensqualität verläuft das Leben der Protagonisten aus der Sessenbergstraße ohne Veränderungen, fast märchenhaft. Harmonie, Hilfsbereitschaft, Emphatik prägen das Miteinander.

 

Du hast da ja einen ganzen Kosmos an Figuren erschaffen, doch im Mittelpunkt stand immer der kleine Freundeskreis um Jette und August. Fällt es da schwer, Abschied zu nehmen?


Interessant ist in diesem Zusammenhang die Frage nach dem Verhältnis zwischen Schrift- stellern und ihren Figuren. „Die Figuren sind nur Kleiderbügel, auf die ich die Sprache hänge.“ So formuliert es Elfriede Jelinek. Oder, so fragen sich andere, entwickeln die Figuren während des Schreibprozesses ein Eigenleben.

   Natürlich entstammen die Figuren in meinen Romanen meiner Feder, und ich lasse sie handeln. Sie erhalten im Laufe des Schreibens aber einen erschaffenen Charakter und entwickeln sich zu individuellen Persönlichkeiten. Tatsächlich habe ich mich dabei ertappt, August in einer bestimmten Situation um Rat zu fragen.

   „A dragon lives forever, but not so little boys!“ Eine Zeile aus dem Lied „Puff, the magic Dragon“.  Der Zauberdrache Puff lebt so lange, wie die eigene Phantasie es zulässt. Der kleine Junge verliert aber seine kindliche Phantasie mit dem Verlust der Kindheit und somit auch den Zauberdrachen, der aber ewig weiterlebt, solange Kinder an ihn glauben. Meine Romanfiguren leben so lange, wie meine schriftstellerische Phantasie es zulässt. Ich werde sie also nicht vergessen oder Abschied nehmen, auch wenn ich nicht mehr darüber schreibe.

 

Hast Du persönlich einen Lieblingsband? Und ein Lieblingsrezept?


   In dem Roman „Die Bordsteinschwalbe“ wird in besonderer Weise deutlich, was eine Gemeinschaft im Ruhrgebiet zu leisten vermag. Die Prostituierte Regina wird in einer lebensbedrohlichen Situation von August und Jette sowie Heini und Änne Schlösser gerettet. Sie nehmen sie ohne zu zögern auf und ebnen ihr letztlich den Weg in ein neues Leben, befreit von existentiellen Nöten, welche sie in die Prostitution gezwungen haben. Regina wird sogar zu einem Teil dieser Gemeinschaft und findet tatsächlich ihr Glück.


Helga, die Frau Hägars des Schrecklichen, der gutes und reichliches Essen liebt, wird gefragt, was ihr Mann denn nicht möge. Ihre Antwort lautet: „Steine.“ Ganz so schlimm sieht es bei mir nicht aus, aber die Gerichte, deren Rezepte in meinen Romanen von August vermittelt werden, mag ich alle sehr. Oder vielleicht eines doch besonders, nämlich Sauerbraten. Pferdefleisch ist allerdings absolut tabu.




Autorenfoto: Livia Krimpelbein

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