In welche Zeit und in welche Welt führt uns Dein Romandebüt?
Der Roman führt uns in eine Welt der harten Feldarbeit und der feinen Salons, der Kutschen und langen Kleider, der reichen Gutsherren auf der einen und der besitzlosen Mägde und Knechte auf der anderen Seite. Ich stelle mir eine dörfliche Welt im letzten Drittel des 19.Jhs. vor, in der ich beschreibe, wie verschiedene Protagonisten versuchen, aus den engen Grenzen ihrer häuslichen Umgebung (Wilhelmine), des sozialen Umfeldes (Felix) und der Standesregeln (Line) auszubrechen. Das ist keine große soziale Umwälzung aber ein erfolgreicher Umbruch im Kleinen.
Wie kam Dir die Idee zu diesem Entwicklungsroman?
Als ich im vergangenen Jahr im Vorfrühling durch die Beete unseres Gartens kroch und die Tätigkeit als überraschend anstrengend empfand, tauchte plötzlich der Satz auf "nie fand sie die Arbeit so mühsam wie in diesem Jahr." Ich richtete mich auf und dachte: Wer ist denn "sie"? Und so habe ich nach und nach eine Geschichte um eine alte, gärtnernde Frau ersonnen und beschloss nach ein paar Wochen diesen ersten Anfang einmal aufzuschreiben.
Da diese Wilhelmine ja auch eine Kindheit haben musste, entstand daraus die Erzählung über das wissensdurstige, freiheitsliebende Mädchen und seine Entwicklung zu einer selbstbewussten Frau, die sich im Alter so stark fühlt, dass sie sich sogar des vernachlässigten Waisenjungen Felix annehmen kann.
Das Cover zeigt einen Stieglitz (oder Distelfink) aus dem "Neuen Blumenbuch" von Maria Sibylla Merian. Ist dieses Bild unmittelbar mit Deinem Roman verbunden?
Ja, ich suchte nach einem starken weiblichen Vorbild für das an der Natur interessierte Mädchen Wilhelmine und landete recht schnell bei M. S. Merian. Als ich in ihrem Neuen Blumenbuch den Stieglitz fand, war ich sehr erfreut: Der Distelfink (so habe ich ihn früher immer genannt, aber der ist als Buchtitel natürlich definitiv vergeben) ist ein munterer Geselle, der oft nur als Durchzügler in unseren Gärten auftaucht, was ja auch wunderbar zu Lines Wesen passt.
Vor diesem Roman hast Du schon zwei Sachbücher geschrieben. Gibt es einen großen Unterschied beim Schreiben?
Oh, ja - beim Sachbuch ist man viel gebundener, das Recherchieren nimmt einen sehr großen Raum ein. Bei meinem ersten Buch, das die Orgeln, Organisten, Pfarrer und das Leben in der Evangelischen Kirchengemeinde Kettwig beschreibt, habe ich ein Jahr lang das große Gemeinde-Archiv durchforstet, bevor das Schreiben überhaupt losgehen konnte.
Bei dem „Stieglitz“ konnte ich - obwohl ich mich auch ausführlich mit der Zeit des Romans beschäftigt habe - der Phantasie freien Lauf lassen. Das war eine neue und sehr spannende Erfahrung.
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